Jahresbericht 2022 der Bahnhofsmission

Im dritten Jahr der Corona-Pandemie hat das Virus allmählich seinen Schrecken verloren. Mitte März 2022 entfiel die Pflicht zur Kontaktdatenerfassung und Überprüfung von Impfstatus oder aktuellem Corona-Testergebnis für die Gäste der Bahnhofsmission. Dies bedeutete eine große Entlastung für die Mitarbeitenden. Im Mai konnte dann wieder die volle Besetzung des Gastraumes gestattet werden. Die Maskenpflicht im Bahnhof und damit auch in der Bahnhofsmission entfiel.

In dem Maße wie Corona in den Hintergrund trat, beherrschte nun das Kriegsgeschehen in der Ukraine und die einsetzenden Flüchtlingsströme aus der Ukraine das Geschehen an den Bahnhöfen. Auch wenn in Hildesheim nur vereinzelt Kriegsflüchtlinge am Bahnhof strandeten, so waren die Kontakte mit diesen allein schon wegen der Sprachbarriere oft sehr zeitaufwendig für die Mitarbeitenden.
Wesentlich stärker beschäftigen die Bahnhofsmission die wirtschaftlichen Begleiterscheinungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, die die Menschen hier vor Ort betreffen. Massiv gestiegene Preise für Lebensmittel und Energie, dazu die Wohnungsknappheit insbesondere für günstigen Wohnraum usw. schlagen direkt durch auf die Zahl und Stimmung der Hilfsbedürftigen, die die Bahnhofsmission aufsuchen. Die Nachfrage nach materieller Unterstützung steigt. Angefangen bei der Scheibe Brot über Schuhe, warme Kleidung, Schlafsäcke oder auch Geld für Fahrkarten sind die Bedarfe kontinuierlich größer geworden.

Die Zahlen für 2022 im Einzelnen:

  • 5666 Kontakte zu Hilfesuchenden hat es in 2022 gegeben, das sind 11% mehr als im Jahr 2021 (5091 Hilfesuchende). Die Altersgruppe der 27 bis 65 Jährigen stellt mit 78% aller Gäste unverändert die größte Gruppe der Hilfesuchenden dar.
  • Ebenfalls gestiegen ist die Zahl der Gäste mit körperlicher und/ oder geistiger Beeinträchtigung von 590 in 2021 auf 704 Menschen in 2022.
  • 4933 Hilfesuchende hielten sich mehr oder weniger lang im Gastraum auf.
  • 4578  Menschen kamen wegen sozialer Schwierigkeiten zu uns.
  • Ähnlich viele Personen (4264 Kontakte) haben auch finanzielle Schwierigkeiten.
  • Nach wie vor ist auch der Anteil der Menschen, die unter psychischen Problemen und/ oder einer Suchterkrankung leiden, mit 1683 bzw. 30% aller Hilfesuchenden sehr hoch.
  • Die Hilfeleistungen im Einzelnen:
    - 5215
    kleine Hilfen, Gespräche und Auskünfte
    - 5323 materielle Hilfen wie Brote, Kleidung, Schuhe, Schlafsäcke, Isomatten, Hygieneartikel
    - 78 Beratungen und seelsorgerische Gespräche
    - 231 Kontakte zu oder Vermittlung an Dritte wie z.B. Fachberatungsstellen u. Behörden.
    - 19 Kriseninterventionen
    - 330 Hilfen im Reiseverkehr
    - 428 Anfragen und Beschwerden wegen defekter Toiletten im Bahnhof mussten entgegen genommen werden.

Das Team der Bahnhofsmission

Die Hauptlast der Arbeit mit den Gästen und Hilfesuchenden tragen die 15 Ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie sind in der Regel zu zweit im Dienst oder ein/e Ehrenamtliche/r zusammen mit der Hauptamtlichen Leiterin. Hinzu kamen über das Jahr verteilt noch 8 Schülerpraktikant*innen, die unterschiedlich lange Sozialpraktika (1-3 Wochen) in unserer Einrichtung absolvierten. Sie erfordern zusätzliche Einarbeitungs- und Betreuungszeit und sind nicht immer eine Entlastung für das Team. Dennoch ist es uns ein wichtiges Anliegen, den Praktikanten die Möglichkeit zu eröffnen, diesen wichtigen Bereich sozialer und diakonischer Aufgaben in der Gesellschaft kennen zu lernen.
Rund 3500 Std. ehrenamtlicher Dienst wurden im Jahr 2022 unentgeltlich geleistet. Die Zahl der Ehrenamtlichen liegt stabil bei inzwischen 15 Männern und Frauen, die sich mit unterschiedlicher Stundenzahl einbringen. Die Spanne reicht von maximal drei Diensten pro Woche bis zu einem Dienst im Monat. Die große Freiheit für die Ehrenamtlichen bedeutet zugleich eine Herausforderung für die Erstellung eines stabilen Dienstplanes, damit verlässliche Öffnungszeiten gewährleistet werden können.
Im Jahr 2022 war die Bahnhofsmission in der Regel Mo, Mi und Fr von 9.00 – 17.00 Uhr geöffnet, Di und Do von 13.00 – 17.00 Uhr.

Einmal im Monat gibt es eine Dienstbesprechung im Team. Hier werden neben Terminen und Informationen auch konkrete Probleme mit Gästen und Absprachen innerhalb des Teams diskutiert und abgestimmt werden. Das Durchsetzen von Regeln im Gastraum ist für das Team zunehmend herausfordernd, da die Zahl der Besucher kontinuierlich zunimmt. Viele Gäste der Bahnhofsmission sind psychisch schwer belastet. Hinzu kommen prekäre Lebensverhältnisse, Obdachlosigkeit und Suchterkrankungen. Leichte Reizbarkeit, ein rauer und rustikaler Umgangston, aber auch Sozialneid und das Buhlen um Aufmerksamkeit fordern den Mitarbeitenden oft viel Geduld ab. Auf der anderen Seite gibt es die „Stillen“, die Schutz bei uns suchen, um zur Ruhe zu kommen. Nicht selten leiden sie unter Ängsten und Depressionen. Diese Gäste beanspruchen viel Zeit und Zuwendung im Gespräch und müssen vor den „Lauten“ geschützt werden. Es ist daher sehr wichtig, dass die haupt- und ehrenamtlichen Bahnhofsmissionare für diese vielfältigen Herausforderungen gut fortgebildet und begleitet werden.

Hilfreich war in dieser Hinsicht ein von der „Stiftung Deutsche Bahn“ finanzierter Workshop zum Thema „Depression und Suizidalität am Bahnhof“, der im Sommer von Herrn Gatzemeier vom „Bündnis gegen Depression in Hildesheim“ durchgeführt wurde.

Die Bahnhofsmission pflegt außerdem einen guten Kontakt zur Bundespolizei, wo sie sich bei Bedarf Hilfe und auch Beratung zu Sicherheitsfragen im Umgang mit schwierigen, aggressiven Gästen holen kann.
Auf Bundesebene wurde im Sommer 2022 eine Kooperationsvereinbarung zwischen Deutscher Bahn, Bundespolizei und den Bahnhofsmissionen zur besseren Zusammenarbeit und dem regelmäßigen Informationsaustausch geschlossen.

Öffentlichkeitsarbeit

  • Im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit war das Abschlussfest der im April 2022 geendeten Fahrrad-Pilgerpass-Aktion der niedersächsischen Landesgruppe der Bahnhofsmissionen sicherlich der Höhepunkt des Jahres und zugleich ein starkes Zeichen für die gelebte Ökumene zwischen evangelischer und katholischer Kirche im Land. Sowohl der Evangelische Landesbischof Ralf Meister, wie auch der Katholische Bischof des Bistums Hildesheim Heiner Wilmer nahmen sich einen Tag Zeit, um mit den niedersächsischen Bahnhofsmissionaren zu radeln und zu feiern.
  • Im Rahmen der jährlich stattfindenden Woche der Diakonie beteiligte sich die Bahnhofsmission am Diakoniegottesdienst, den das Diakonische Werk zusammen mit Superintendent Peisert vorbereitete und durchführte.
  • Nach zwei Jahren Corona-Pause konnte in 2022 am 4. Advent endlich wieder die traditionelle Weihnachtsandacht in der Bahnhofshalle gefeiert werden. Dieser Gottesdienst lebt von der besonderen Atmosphäre des Bahnhofs.

Ausblick

Dank zusätzlicher Kirchensteuereinnahmen aus der Energiepauschale, die die Bundesregierung an die Bürger im Herbst ausgezahlt hat und die wieder an Bedürftige zurückfließen sollen, kann das Diakonische Werk seine Hilfsangebote im Winter 22/23 aufstocken. Für die Bahnhofsmission bedeutet dies konkret, dass für 12 Monate eine Minijobkraft eingestellt werden kann, die ab Januar 2023 verlässlich samstags von 10.00-15.00 Uhr die Hildesheimer Bahnhofsmission öffnen wird. Dieses Angebot einer Wärmestube am Wochenende ist für Hildesheim ein wichtiger Zugewinn.

Die Leiterin der Bahnhofsmission nimmt 2023 an einem von der Deutsche Bahn Stiftung finanzierten Qualifizierungsprogramm für „Mutmacher*innen am Bahnhof“ teil. Ziel der Fortbildung ist es, die in den Bahnhofsmissionen Tätigen für die psychosoziale Beratung zu qualifizieren. Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Lage wird der Bedarf an niedrigschwelligen Gesprächen bei Sorgen und Problemen in der Bahnhofsmission ungebrochen bleiben oder gar steigen.

Susanne Bräuer, Leiterin der Bahnhofsmission