Familie aus diakonischer Sicht

Wir sind Familie. Wir alle kommen aus einer Familie, wir suchen, wir gründen Familien und vielleicht haben wir Familienanschluss gefunden. Hoch im Kurs steht die Familienpolitik, Familie steht unter dem Schutz des Staates, geregelt wird das im Familienrecht, verhandelt vor Familiengerichten. Wir geben uns familienfreundlich.

Nur wenige Begriffe in unserem Sprachgebrauch werden so häufig genutzt wie der der Familie. Wenige Begriffe sind so schillernd und uneindeutig, positiv oder negativ besetzt, nur wenige sprechen uns so im Tiefsten an und lösen starke Gefühle aus, Empfindungen, Erinnerungen, Hoffnungen und Sehnsucht.

Wir sind Familie, wir wollen Familie sein. Wir suchen nach diesem besonderen Glück im Schoße der Familie. Diesem Ort der Intimität und Vertrautheit, der Geborgenheit und Gemeinschaft. Wir sehnen uns nach dem, was wir früh erfahren oder schmerzlich vermisst haben. Wir wollen es anders machen, es soll besser werden. Wir wollen mehr Zeit und mehr Verständnis für unsere Kinder haben als unsere Eltern, wir wollen als Paar partnerschaftlich, gleichberechtigt leben und alle Lasten und Freiheiten gerecht aufteilen. Den Kindern soll es einmal besser gehen. Wir suchen uns neue Familien, neue Lebensformen, Wahlverwandschaften...

...und wir scheitern. Wir stellen fest, dass unser Leben nicht am Reißbrett planbar ist, dass da jede Menge Unbekannte sind - im Innen wie im Außen. Der Weg ist brüchig, wir stoßen an Grenzen des Machbaren, Hindernisse stellen sich in den Weg und unvorhergesehene Ereignisse werfen alles über den Haufen.

In dieser Verfasstheit aus einer aktuellen Krise heraus suchen Menschen Halt, Orientierung und Unterstützung vielleicht im Gebet, bei Freunden oder vielleicht aber auch in einer Beratungsstelle.

Was wird da über den Haufen geworfen? Es sind Wünsche, Träume, die Sehnsucht nach Familie, einer besseren Zukunft, es sind Entwürfe, Pläne aber auch Ansprüche perfekt und allseits anerkannt zu leben:
Die Partnerschaft, die so hoffnungsvoll begann, wird nach der Geburt des ersten Kindes zur Überforderung und gegenseitigen Quälerei.
Die plötzliche Arbeitslosigkeit lässt den Plan vom eigenen Häuschen zerplatzen.
Der ewige Streit um das wenige Geld belastet die allein erziehende Mutter, weil kaum Spielraum bleibt für Unbeschwertheit.
Die ungewollte Schwangerschaft mitten in der Ausbildung ist eine Katastrophe.
So wie der unerfüllte Wunsch nach einem gesunden Kind, nach Elternschaft, nach eigener Familie.

Ent-täuschung.
Dahinter steht ein Mensch. Wir in der Diakonie versuchen diesen Menschen zu sehen, ihn willkommen zu heißen und ihn anzunehmen in seiner Ganzheit und in seiner Brüchigkeit, in seiner Hoffnung und in seinem Suchen nach Heilung. Wir tun das in der Gewissheit von Gottes Gegenwart gerade für die, die stolpern und verzweifeln.

Gisela Sowa